20 Minutes with
Josephine Rais

Die Illustratorin über Schönheitsideale, Instagram-Zensur und Mut

Josephine Rais geht es um neue Perspektiven, ob inhaltlich oder wortwörtlich. Die Illustratorin zeichnet Frauen, in all ihrer Diversität und aus jedem Blickwinkel. Von unten, oben, seitlich – aber vor allem auf Augenhöhe. Durch ihre knallige Farbwahl wirken ihre, oft gesellschaftskritischen, Werke wie kleine utopische Pop Parallelwelten. Besonders gut funktioniert das auf Social Media, wo Josephine schon lange ein zweites Zuhause gefunden hat. Dabei beschreibt sie selbst die sozialen Medien als die "Droge des 21. Jahrhunderts" und macht mit ihrer Motivwahl immer wieder auf deren Suchtpotential aufmerksam. Gleichzeitig zeugen ihre Arbeiten von einer gerechteren Welt – sie verwischen Gender-Grenzen, gesellschaftliche Gaps und Generationsunterschiede. Wir haben mit dem Zeichen-Talent über Instagram-Zensur, Schönheitsideale, über Katzen, Kochen und Konventionen gesprochen.

Nele Tüch. Deine Arbeit hat einen sehr großen Social Media Bezug. Auf der einen Seite kann Instagram Inspiration bieten und eine tolle Plattform sein um sich selbst zu positionieren. Auf der anderen Seite zensieren soziale Medien. Wie gehst du mit diesem Einschnitt in deine kreative Freiheit um?
Josephine Rais:
Grundsätzlich muss man glaube ich erkennen, dass Instagram ein gute Plattform ist um seine Arbeit oder Meinung zu teilen, sich auszutauschen oder sich inspirieren zu lassen, aber letztendlich doch eine Bubble, in der man gefilterte Informationen serviert bekommt, die maximal mit der eigenen Realität übereinstimmen. Ich persönlich nutze Instagram als Portfolio um meine Arbeit zu präsentieren, sprich, ich gestalte nicht für Instagram. Das bedeutet, dass die Plattform letztendlich nur Einfluss darauf nehmen kann, ob es geteilt wird und nicht, ob es erstellt wird. Das ist für mich ein großer Unterschied.

 

NT: Du portraitierst eine große Diversität. Wie wichtig ist es für dich mit der Norm, mit gängigen Schönheitsidealen oder Gender-Stereotypen zu brechen?
Josephine Rais:
Sehr wichtig. Ich würde sagen, dass ich in einem sehr konservativen Umfeld aufgewachsen bin, mit starren Geschlechterrollen und Schönheitsidealen. Ein kleines Beispiel: Als Baby hatte ich lange kaum Haare auf dem Kopf, deshalb bekam ich immer rosa Mützchen aufgesetzt, damit man sofort erkennt, dass ich ein Mädchen bin… Mit meiner Kunst versuche ich ein modernes und progressives Gesellschaftsbild abzubilden, mit der Hoffnung, dass sich unsere, aber vor allem auch zukünftige, Generationen von den gängigen Schönheitsidealen und Stereotypen loslösen. Ich möchte mit meiner Kunst Räume schaffen in denen sich jede*r wiederfinden kann und in denen für jede*n Platz ist.  

"Josephine Rais: Freiraum ist für mich ein Ort an dem ich mich komplett frei entfalten kann, ohne Regeln,  Konventionen und Einschränkungen. Ein Platz an dem alles möglich ist." 

NT: Deine Illustrationen sind ein Spiegel des Zeitgeistes. Wenn du dir deine früheren Arbeiten anschaust, was hat sich geändert?  
Josephine Rais:
Ich würde sagen, dass ich mutiger geworden bin. Zum einen was die Wahl meiner Farben betrifft: Ich mochte schon immer gerne Farbe, aber zu Beginn habe ich sie sehr zaghaft eingesetzt. Meist habe ich gedeckte Töne benutzt, die sich leicht miteinander kombinieren lassen. Heute denke ich eher: Je mehr und je knalliger desto besser. Das gleiche gilt für die Wahl meiner Motive. Meine anfänglichen Arbeiten zeigen eher Dinge, die ich optisch ansprechend finde. Zum Glück habe ich relativ bald festgestellt, dass ich viel lieber das zeichnen möchte, was mich im Inneren bewegt.  


NT: Als Freelancerin bist du flexibel und unabhängig, allerdings kommt das Selbstständigen-Leben auch mit einer großen Verantwortung und finanziellem Risiko. Würdest du es weiterempfehlen?  
Josephine Rais:
Als Studentin habe ich mich nie als selbstständige Künstlerin gesehen. Die Hürde und die Angst davor war enorm und irgendwie haben mir auch Vorbilder gefehlt. Aus meiner persönlichen Sicht heute, kann ich es auf jeden Fall weiterempfehlen. Allerdings ist das sehr individuell und man sollte sich gut überlegen warum man selbstständig arbeiten möchte. Denn auch als Freelancer ist man an Verträge, Fristen und Briefings gebunden ;) Selbstständigkeit braucht vor allem Disziplin, Eigenverantwortung, Durchhaltevermögen, ein gewisses Maß an Selbstvertrauen und, aus meiner Sicht, vor allem ein gutes Netzwerk. Man sollte in der Lage sein selbstständig aktiv zu sein und jede potentielle Chance bestmöglich zu nutzen. Für mich ist mein Beruf 24/7 präsent aber das ist auch ok so, weil es sich für mich die meiste Zeit nicht nach Arbeit anfühlt. Ich liebe das, was ich tue und wem das genauso geht, dem kann ich auch die Selbstständigkeit empfehlen :)  


NT: Weißt du noch, was dein berufliches Ziel war als du mit dem Studium angefangen hast und ob es schon wahrgeworden ist?
Josephine Rais:
Das klingt jetzt vielleicht sehr kitschig aber mein Vater hat einmal voller Überzeugung zu mir gesagt, dass er jeden Tag richtig gerne zur Arbeit geht. Ich habe ihm das zunächst nicht wirklich geglaubt, denn bis dato hatte ich mit Arbeit oder Beruf immer etwas negatives, anstrengendes assoziiert. Seit diesem Tag war es mein Ziel, irgendwann das gleiche sagen zu können. Ich glaube eines der wertvollsten Dinge im Leben ist, wenn man in der Lage ist etwas zu tun, was einen erfüllt und was einem Spaß macht. Für mich ist es wahr geworden und ich hoffe, dass ich es festhalten kann.  

NT: Was ist dein aktuelles Traum-Projekt?
Josephine Rais: Eine eigene Ausstellung ist ein großer Traum von mir. Ich hätte große Lust mich einem Thema voll und ganz zu widmen, intensiv zu recherchieren und es dann illustrativ aufzubereiten und auszustellen. So ganz ohne Briefing, ohne Kunden und ohne Deadline! Aktuell fehlen mir dazu leider noch die Möglichkeiten aber mal sehen, was die Zukunft bringt.  

 

NT: Du hast viele internationale Klient*innen und könntest von überall aus arbeiten – warum Berlin? Josephine Rais: Ich habe mich in die Stadt verliebt als ich während meines Studiums fürs Praktikum hergezogen bin. Ich kann es, glaube ich, nicht anders beschreiben, als dass ich mich sofort angekommen gefühlt habe. Mir gefällt die Anonymität der Stadt und gleichzeitig die Offenheit. Ich liebe es so viele Optionen zu haben, sei es kulinarisch, kulturell oder zeitlich – ein Hoch auf Spätis! Trotzdem weiß ich nicht, ob Berlin meine letzte Adresse sein wird, ich kann mir auch sehr gut vorstellen eine Zeit lang in London, Tel Aviv oder irgendeiner anderen großen, bunten Stadt zu leben. Mein größter Traum ist aber irgendwann einmal in der Nähe des Meeres zu wohnen.


NT: Über welches andere Thema, neben deiner Arbeit, kannst du nicht aufhören zu denken oder zu reden?
Josephine Rais:
Meine Freund*innen würden diese Frage wahrscheinlich mit meinen Katzen beantworten – und vermutlich haben sie Recht. Aber meine zweite große Leidenschaft neben der Kunst ist das Kochen. Darin finde ich meinen Ausgleich. In meinem Elternhaus hat Essen und Ernährung schon immer eine zentrale Rolle gespielt, ich kenne Quinoa schon seit meiner Kindheit. Es macht mir sehr viel Spaß mich mit Lebensmitteln auseinanderzusetzen, neue Rezepte auszuprobieren, oder eigene Kreationen zu schaffen.

NT: Wir sind neugierig, kannst du uns ein paar deiner Lieblinge verraten?
Josephine Rais: Ich kann mich unglaublich schlecht zwischen Dingen entscheiden, die ich gerne mag, alles hängt immer von der Situation und meiner aktuellen Stimmung ab. WENN ich mich für ein Gericht und ein Buch bis ans Ende meiner Tage entscheiden müsste, wären das Pizza und der Herr der Ringe. Letzteres ist wohl auch mein Lieblingsfilm oder zumindest der Film, den ich am häufigsten gesehen habe. Ich liebe Literatur und Filme, die mich in eine fremde, fantasievolle Welt schickt. Das inspiriert mich. Bei Tolkien fasziniert mich die Liebe und Hingabe zum Detail. Der Umfang und den Aufwand, den er betrieben hat, finde ich bemerkenswert.  

Ein ganz toller Podcast ist Feuer und Brot, den höre ich aktuell sehr viel. Mein momentanes Lieblingsrestaurant, beziehungsweise wo ich aktuell am liebsten bestelle ist Yafo, dort gibt es den besten Hummus in Berlin <3  

Meine Guilty Pleasures sind Reels mit Vögeln auf Instagram. Ich finde, dass Vögel unglaublich lustige Tiere sind.

NT: Was bedeutet Freiraum für dich und wo kannst du ihn finden?
Josephine Rais: Freiraum ist für mich ein Ort an dem ich mich komplett frei entfalten kann, ohne Regeln, Konventionen und Einschränkungen. Ein Platz an dem alles möglich ist. Ich finde das in meinem Geist, meinen Gedanken, meiner Fantasie und somit letztendlich auch wieder in meiner Kunst.