20 Minutes with Fashion Changers

Die Mode-Aktivistinnen im Interview über soziale Gerechtigkeit, Unabhängigkeit und vermeintlich anstrengende Themen

Wer Lust auf ein Schöngeist-Leben, auf Interior, auf Mode, und Beauty hat, aber seine Werte dafür nicht eintauschen will, der sollte Fashion Changers kennen. Der Blog von Jana Braumüller, Vreni Jäckle und Nina Lorenzen macht es uns leicht wie Bio-Baumwolle nachhaltige und faire Labels zu entdecken. Dabei stellen Ethik und Philosophie das Design niemals in den moralischen Schatten und die Marken, die vorgestellt werden, halten locker mit unseren Pinterest-Erwartungen und Instagram-Moods mit. Auf dem Fashion Changers Blog findet ihr nicht nur ein alphabetisches und sorgfältig kuratiertes Verzeichnis der schönsten Fair Fashion Labels, sondern auch ein Magazin mit Artikeln rund um das Thema Nachhaltigkeit – von Podcast-Empfehlungen und Tipps zum klimafreundlichen Reisen über Büro Make-Overs bis hin zu soziokulturellen und gesellschaftlichen Features über Umweltrassismus oder Rainbow-Washing. Aber für die drei bleibt es nicht dabei nur über Aktivismus zu reden, sie betreiben ihn auch persönlich, auf ihren Accounts, dem Blog, auf Demos und Konferenzen. Fashion Changers unterstützt Petitionen, steht im engen Austauschen mit Aktivist*innen und veranstaltet Modeaktivismus-Treffen. Wer selbst anpacken will, findet hier das "Modeaktivismus 101" als Guide. Wir haben mit den Mode-Umkremplerinnen über die Vereinbarkeit von Unabhängigkeit und finanzieller Sicherheit, über Gründungs-Probleme und den Einfluss von Corona auf die Modeindustrie.

Alle Bilder von Emilie Elizabeth

Nele Tüch: Nachhaltigkeit ist nicht gleich Nachhaltigkeit. Welche Unterkategorie ist euch zur Zeit am Wichtigsten?
Fashion Changers: Das ist ja eine toughe Frage! Nachhaltigkeit ist so vielschichtig, aber ich würde sagen: Der dicke Brocken, an den sich immer noch niemand so wirklich traut ist, dass wir wirklich weniger brauchen – von allem. Das steht so sehr in Kontrast zu unserer konsumorientierten Gesellschaft und kapitalistischen Strukturen, dass wir uns beinah nicht vorstellen können, wie es anders sein könnte. Wenn wir aber wirklich nachhaltiger werden wollen, müssen wir weniger Kram produzieren. Das bedeutet übrigens nicht immer gleich Verzicht, auch so ein Wort, vor dem viele regelrecht Angst haben. Weniger Kram zu produzieren und dann auch zu konsumieren, bedeutet nicht Verzicht, sondern weniger Kram. Und das, seien wir mal ehrlich, hätte doch total viele schöne Auswirkungen. Nämlich viel mehr Ressourcen und Zeit für die Dinge, die wirklich wichtig sind. Weniger Kram, mehr essentielle Dinge wünsche ich mir auch für die Modeindustrie. Ganz praktisch könnte das zum Beispiel heißen: weniger fette Werbekampagnen, mehr Ressourcen für die Verbesserung der Lieferketten, oder Ähnliches. Es gibt ja viele Möglichkeiten, Zeit und Geld anders zu verteilen, wenn man einmal anfängt darüber nachzudenken.
 
NT: In der Modeindustrie zu arbeiten, bedeutet oft auch mit Anzeigenkunden zu arbeiten und mit Marken zu kooperieren. Wie behält man seine Unabhängigkeit bei?
Fashion Changers: Da sind wir direkt nochmal bei der Frage zuvor: Ich nehme 'Fashion Changers' da überhaupt nicht aus. Wir bestehen ja innerhalb dieser Strukturen und sind selbst oft von Sponsorings und Marketingbudgets abhängig. Da machen wir sicherlich nicht alles perfekt, aber setzen natürlich unsere Maßstäbe auch bei uns selbst an: Wir sind immer offen für Kritik und gehen sehr transparent mit unseren Geldflüssen um. Sehr wichtig finde ich, dass man sich eine gewisse Distanz bewahrt und sich dessen auch bewusst ist. Für uns bedeutet das zum Beispiel auch, dass wir kritische Meinungen nicht hinter dem Berg halten. Nicht alle potentiellen Anzeigenkund*innen mögen das und uns wird deshalb schon auch mal ein Job abgesagt. Aber so ist es eben. Unsere Haltung bleibt unsere Haltung. Was man aber auch dazu sagen muss: Wir sind deshalb auch sehr nischig und werden mit dem, was wir tun, nicht gerade reich.

NT: Also habt ihr es schon einmal erlebt, dass ihr auf Missstände in der Branche hingewiesen habt und das Auswirkungen auf eure Kooperationspartner hatte?
Fashion Changers: Nicht direkt so, dass wir von Kooperationspartnern angerufen wurden oder dergleichen, aber durchaus so, dass wir hier und da nicht in Frage kamen, weil wir zu „aktivistisch und politisch“ sind. In der Modebranche haben viele immer noch eine Hemmung davor, sich zu positionieren oder auch schwierige Themen anzusprechen und wollen nicht, dass die Marke damit in Verbindung gebracht wird. Besonders im nachhaltigen Bereich erlebt man das öfter. Das liegt meiner Meinung nach zum einen daran, dass Marken den Leuten zusätzlich zur Nachhaltigkeit nicht auch noch andere „anstrengende“ Themen aufbinden wollen, aber auch daran, dass die nachhaltige Community teilweise einen sehr „unpolitischen“ Vibe hat, manche fühlen sich von politischen Inhalten sogar angegriffen und finden, dass es nichts mit Nachhaltigkeit zu tun hat. Ich hoffe ehrlich gesagt sehr, dass sich das ändert und wir als Branche progressiv und lösungsorientiert in die Zukunft schauen.
"Wir denken über Mode ganz gerne so nach, dass es ein Feld ist, in dem einfach wahnsinnig viel zusammenläuft: so viele Materialien, Produktionsarten, Lieferketten, die Herausforderungen der Globalisierung, Gerechtigkeitskämpfe, soziale Teilhabe und noch so vieles mehr."
NT: Ich musste mich mein Leben lang dafür rechtfertigen “etwas mit Mode zu machen” – das sei oberflächlich und kapitalistisch. Ihr erklärt sehr gut, wieso Mode politisch sein kann und ist…
Fashion Changers: Ach ja, irgendwie sagen das doch immer Leute, die selbst noch nie etwas mit Mode gemacht haben, oder? Wir denken über Mode ganz gerne so nach, dass es ein Feld ist, in dem einfach wahnsinnig viel zusammenläuft: so viele Materialien, Produktionsarten, Lieferketten, die Herausforderungen der Globalisierung, Gerechtigkeitskämpfe, soziale Teilhabe und noch so vieles mehr. Wer die Modeindustrie vollends verstanden hat, hebe bitte die Hand.

NT: Machen Politik und die Modeindustrie tatsächlich Fortschritte in Sachen Nachhaltigkeit und Gleichberechtigung oder ist das alles Greenwashing?
Fashion Changers: Es gibt seit Jahren beides: Fortschritte und Greenwashing. Was ich aktuell besonders kritisch sehe: Der nachhaltige Teil der Modeindustrie muss sich erneuern, um nicht unterzugehen. Der Aufschwung des ökologischen Bewusstseins bei Konsument*innen hat dazu geführt, dass inzwischen sogar viele Fast Fashion Konzerne extrem viel Kommunikation in Richtung Nachhaltigkeit machen, auch wenn nicht immer viel dahinter steckt. Es liegt an der nachhaltigen Branche das Wort Nachhaltigkeit nicht zur Hülse verkommen zu lassen, sich selbst zu hinterfragen und zu erneuern: Es reicht nicht mehr nur nachhaltige Stoffe einzusetzen, es muss auch mehr konkrete Transparenz her und zum Beispiel auch mehr Größeninklusion. Wenn die Fast Fashion Brands es schaffen mehr als XS-XL anzubieten und das dann auch noch aus biologischen Stoffen ist und es viel Kommunikation dazu gibt – ja, dann bleiben die wirklich eco-fairen Marken zurück, ist doch klar. Ein großes Problem dabei ist natürlich, dass kleinere, nachhaltige Brands nicht über die großen Budgets verfügen, die Fast Fashion zur Verfügung stehen. Und trotzdem könnte die nachhaltige Modebranche progressiver werden als sie es momentan ist, finde ich.

NT: Mit eurem Blog erreicht ihr besonders die Konsument*innen, mit eurer Konferenz auch die Unternehmer*innen. Was ist im Jahr 2021 wichtig, wenn man ein nachhaltiges Label gründen will?
Fashion Changers: Durchhaltevermögen! Ich bewundere alle nachhaltigen Label-Gründer*innen extrem, denn das sind wirklich herausfordernde Gründungen. Mit der Konferenz versuchen wir, einen Beitrag dazu zu leisten, es ein bisschen zu vereinfachen, indem man von erfahrenen Gründer*innen Tipps bekommt und spannende Leute trifft. Dieses Mal haben wir sogar einen ganzen Start-Up-Themenblock eingerichtet. Was ich persönlich wichtig finde: Sich am Anfang genug Zeit nehmen, darüber nachzudenken, woher das Geld in den ersten drei Jahren wirklich kommt und möglichst genau zu prüfen, wie realistisch das umsetzbar ist, denn die meisten Gründungen scheitern nicht daran, dass sie kein gutes Design anbieten können oder das Konzept nicht toll ist, sondern daran, dass die finanzielle Puste nach zwei bis drei Jahren ausgeht.
"Freiraum ist für uns, über all die Themen sprechen und schreiben zu können, die wir wichtig finden. Das ist ein so großes Privileg."
NT: Anfang letzten Jahres wurde die Pandemie als die große Chance für den Klimaschutz und für mehr Nachhaltigkeit gefeiert. Wie sehr haben Lockdown und Co. nun wirklich die Industrie verändert?
Fashion Changers: Bei dieser Euphorie waren wir ehrlich gesagt die ganze Zeit schon zurückhaltend. Ich finde es immer noch zu früh, tatsächlich zu sagen, was Corona mit der Industrie gemacht haben wird. Was man aber sagen kann: Im Handel sieht es so aus, als würde langsam alles wieder zurück zu einem „Normal“ gehen – was eher ein Anzeichen dafür ist, dass viele so konsumieren wollen wie vor der Pandemie. Viele Menschen in der Industrie haben eine extrem harte Zeit hinter sich oder stecken aktuell immer noch mitten drin. Die Situation von Näher*innen weltweit ist häufig weiterhin mehr als prekär und eine Pandemie führt jetzt auch nicht zwangsläufig dazu, dass Arbeitsrechte besser geachtet werden. Im Gegenteil: viele Gehälter wurden immer noch nicht bezahlt. (Die Clean Clothes Campaign macht hier viel Aufklärungsarbeit)

NT: Wie definiert ihr Freiraum und wo könnt ihr ihn finden?
Fashion Changers: Freiraum ist für uns, über all die Themen sprechen und schreiben zu können, die wir wichtig finden. Das ist ein so großes Privileg. Freiraum ist aber auch, und das merken wir in letzter Zeit immer mehr, sich nicht so zu verausgaben, dass irgendwann gar nichts mehr geht. Als kleines Medium sind wir sehr oft an der Kapazitätsgrenze und müssen uns auch selbst immer wieder sagen „Jetzt ist Pause, später machen wir weiter“.

Alle Bilder von Emilie Elizabeth